Lokale Presse – vierte Gewalt oder Gefälligkeitsjournalismus?

Eigentlich hatte ich mich gefreut, als die Oberhessische Presse sich aus dem Zeitungskonzern Madsack herauslöste. Endlich wieder eine kleine, mutige Zeitung, die nicht nur Einheitsbrei liefert und insbesondere im Regionalbereich Qualität und Unabhängigkeit liefern kann. Eine funktionierende vierte Gewalt im Landkreis, eine Chance, dass an der  Position des von mir sehr geschätzten Michael Agricola etwas dran sein könnte und die Presse gerade in ihrer Gesamtheit einen eigenen, erhaltenswerten Wert darstellt. Eine  freie Presse, vielfältiger, guter Journalismus könne nur dann entstehen, wenn man das ganze Paket nehme.

Leider liefert man nicht.

In Marburg ist auf dem Gelände der Firma Vitos ein Neubaugebiet ausgewiesen worden, mit zu verkaufenden Grundstücken und sozialem Wohnungsbau.

Soweit, so gut. Nun formiert sich eine Bürgerinitiative gegen diese Bebauung,. Diese wird nicht ernst genommen, ihre Argumente werden relativiert. http://www.op-marburg.de/Lokales/Marburg/Protest-gegen-Villen-auf-Vitos-Arealhttp://www.op-marburg.de/Lokales/Marburg/Protest-gegen-mehr-Wohnungsbau-am-Richtsberg
Es wird positiv über das Projekt berichtet: http://www.op-marburg.de/Lokales/Marburg/Stadt-stellt-Plaene-fuer-Vitos-Gelaende-vorhttp://www.op-marburg.de/Lokales/Marburg/Mehr-Sozialwohnungen-am-Vitos-Areal
Dabei gäbe es durchaus diskussionswürdige Punkte:

  • Vernichtung eines  Roteichenbestandes. Aber da Grün mitregiert, können die Bagger ohne Protest kommen.
  • Die Gutachter für die ökologische Unbedenklichkeit  sind vielfältig mit den Eigentümern und Grundstücksinteressenten verflochten. Das hat Geschmäckle, ein Gegengutachten kommt zu völlig anderen Resultaten.
  • Der “soziale Wohnungsbau” dient in erster Linie als Schallschutz für die dahinter liegenden Villengrundstücke – neben seiner Funktion, Kritik an dem Plan als unsozial zu diskreditieren.
  • Eine angeregte Bürgerabstimmung führt nicht zu einem Innehalten der Stadtverwaltung. Man will anscheinend schnell vollendete Tatsachen schaffen.

Zum Einlesen in die Argumentation der Bürgerinitiative: http://www.das-marburger.de/2015/10/naturschutz-versus-sozialen-wohnungsbau-buergerinitiative-will-vitos-park-erhalten/.
Im Prinzip droht hier eine Schieflage zwischen den Interessenten und der Bevölkerung, die in ihrer Dimension und der adminstrativen Ignoranz durchaus Parallelen zum Stuttgart21-Konflikt aufweisen. Hier böte sich für eine freie, unabhängige Presse ein breiter Raum für investigativen, informativen Journalismus. Stattdessen generiert man sich lieber als Sprachrohr der Administration.
DIe OP schreibt in Ihrem Anreisser zu ihrem Artikel

“Anwohner am Richtsberg sind sauer über die Pläne, mehr Wohnhäuser im Stadtteil bauen zu lassen. Ihren Ärger haben sie während der Ortsbeiratssitzung geäußert – und hundert Unterschriften gesammelt.” [Link]

Begriffe wie “sauer” und “Ärger” suggerieren Emotionen statt Argumente. Die Überschrift “Protest gegen mehr Wohnungsbau am Richtsberg” lässt zusätzlich die Bürgerinitiative in einem schlechten Licht erscheinen – wie kann man in einer Stadt wie Marburg nur gegen neue Wohnungen sein? Anderwo liest sich das zum Beispiel so.

“„Die BI wendet sich nicht absolut gegen sozialen Wohnungsbau auf diesem Gelände (der macht laut Planungen etwa 50 % der Wohneinheiten aus und soll als Wohnblocks entlang der Fr. Ebert-Str. gebaut werden), sondern möchte diesen an einem anderen Platz sehen unter Erhalt des Roteichenwaldes und seiner zahlreichen weiteren Gehölzarten und Vogelarten, auch als Schutzriegel für den Park (Sicht-, Lärm-, Feinstaub-, Klimaschutz durch ausgegeglichenere Temperaturen und CO2-Speicherung für Patienten, Hospiz und BesucherInnen),“ erläutert Johannes Linn als einer der Aktiven der BI zum Erhalt des Vitos-Parks.” [Link]

So wird das nichts, liebe OP. Wenn ihr wollt, dass ich das ganze Paket nehme, muss da auch was drin sein.  Ihr seid jetzt dran, liefert bitte!

 

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