
Nun geistern sie durch die Medien, werden niedergemacht – Skandale und Skandälchen hier, Vorwürfe über das Verhalten des Vorstandes und das Verhältnis zur Basis, über die Basis, die ihren Vorstand nicht mehr mag und einen Vorstand, der abzuheben droht. Geschrieben wird über schlechte Wahlprognosen, darüber, dass die große Zeit vorbei und die Partei hoffnungslos zerstritten sei.
Das scheint ein großes Problem zu sein. Schaut man genauer hin, sind das Streitigkeiten, die überall vorkommen und auftreten, wo sich eine Menge unterschiedlicher Menschen treffen, um irgendetwas zu bewirken. In den meisten Institutionen gibt es Strukturen, welche derartiges kanalisieren und in bestimmte Richtungen lenken. Dann können die Selbstdarsteller die Show geniessen und die Basis jubelt. Das wollten die Piraten anders machen – die Basis, noch mehr, alle Menschen sollen mit machen dürfen. Man experimentiert mit neuen Techniken und Verfahren. Das kostet alles Kraft und Energie. Wenn eine engagierte Piratin wie Christina König twittert “Meine Energie ist einfach aufgebraucht. Keinen Mut und Kraft mehr alle Schlachten zu schlagen.” zeigt das, wie anstrengend das ist. Und wie gefährlich. Wie lange kann es sich eine aufstrebende Partei leisten, ihre besten Leute in einen Burnout zu treiben? Und das alles am Vorabend des Bundeswahlkampfes, der alle Energien und Kräfte braucht, die aufzubringen sind.
Was unterscheidet das mediale Armageddon der Piraten von der Situation der Linken vor einigen Jahren, wo man die Partei hoffnungslos zerstritten und in Flügelkämpfen vorfand, oder von der Situation der Grünen in den 80er Jahren, wo zwischen Ökosozialisten, Realos und Fundis tiefe Gräben lagen? Viel spricht dafür, dass es in der FDP in der letzten Zeit kräftig hinter den Kulissen gekracht hatte. Nichts unterscheidet die Situation der Piraten von diesen Querelen der anderen Parteien, sie scheinen ein konstituierendes Element für Parteien zu sein. Das bei den Piraten alles offener ist, spricht doch für sie und nicht dagegen.

Unter geht allerdings im medialen Rauschen, dass viele fleissige und intelligente Piraten und Freibeuter inzwischen ein Programm zusammengeschmiedet haben oder noch schmieden, welches zwar nicht auf jede Detailfrage eine Antwort liefert, aber überall etwas dazu sagen kann und eine Richtung vorgibt, die sich fundamental von dem unterscheidet, was andere Parteien liefern. Immer steht der Mensch im Zentrum und nicht das System, die Wirtschaft oder sonst etwas. Liest man sich die Programme, Wikis und Pads durch, merkt man, dass hier etwas in Form gebracht wird, welches einen Alternativentwurf zur lähmenden Alternativlosigkeit der etablierten Parteien bieten könnte. Ein-Themen-Partei Piraten? Lachhaft – da war die Fokussierung der Grünen auf Ökologie in den 80er Jahren deutlich enger.
Unseren Medien täte gut, den Fokus von den Personalien zu nehmen und auch der nicht vernetzten Öffentlichkeit die inhaltlichen Aspekte nahe zu bringen. Nach dem Totalversagen des Presseapparates bei der Desinformation über das Leistungsschutzrecht, den Bürgerprotesten in Spanien und Portugal und der Wahl in Italien sehe ich da wenig Hoffnung. Um so wichtiger wäre es für die Piraten, die Angriffsfläche zu vermindern und dadurch den Fokus auf die Inhalte zu lenken. “Themen statt Köpfe” wäre eine gute Idee für den bevorstehenden Wahlkampf – über Köpfe reden schon zu viele derzeit.
Warum aber sollte man überhaupt auf die Piraten setzen? Gäbe es nicht andere, erfolgversprechendere Möglichkeiten?
Schaut man sich die Programme und Aussagen der Parteien an, insbesondere die von SPD und Grünen, bleibt wenig Hoffnung auf einen Wechsel. Steinbrück will das Leistungsschutzrecht modifizieren, nicht abschaffen. Die SPD hat keine geschlossenen Meinung gegen Vorratsdatenspeicherung, man hält dem Grunde nach sowohl die Agenda 2010 als auch Hartz IV weiterhin für richtig. Bei den Grünen sieht es ähnlich aus, mit Kathrin Göring-Eckardt ist nicht gerade der nötige gesellschaftspolitische Wandel gewählt worden. Die Grünen haben es sich längst in der bürgerlichen Ecke bequem gemacht, da kommt nichts weltbewegendes mehr. Bleibt die Linke, deren Rezepte die des vergangenen Jahrhunderts sind und die keine neuen Ideen zur Lösung der grundlegenden Probleme haben.
Wir brauchen also die Piraten als die Gruppe, die Teilhabe und Transparenz einfordert, für Bürgerrechte und zeitgemäßen Umgang mit neuen Medien steht, die einen Ausweg aus dem immer geringer werdenden Bedarf an bezahlter Erwerbsarbeit auch nur denken kann. Darauf würde ich in der nächsten Legislaturperiode ungern verzichten. Ich muss nicht alle Köpfe unbedingt mögen, so lange die Themen und Inhalte stimmen.
Auch dieses Posting kann im Kontext meiner losen “Parteien vor der Wahl” – Reihe gelesen werden. Artikel zu den Grünen, zur SPD und zur FDP sind schon veröffentlicht.
Man muss zugeben, dass die Piraten sich in letzter Zeit das Leben nicht gerade einfach machen. Oft auch selbstverschuldet. Man sollte allerdings auch beachten, dass viele Medien kein wirkliches Interesse an einer starken Piratenpartei haben. So bestehen zwischen den konservativen Parteien und Journalisten auch immer gewisse Verbindungen.