Kurzer Abriss

Irgendwie sah das alle nach dem Bundesparteitag in Bremen gut aus – Motivation, ein arbeitsfähiger Vorstand, ein weiterer Parteitag mit Aufstellungsversammlung für die Europawahl in Aussicht. Nicht alles perfekt, aber so, dass man erstmal schauen konnt, wie sich die Dinge entwickeln würden. Kein “Neustart”, aber auch kein “weiter so”. Es kam ganz anders.
Flaggengate
Am 4. Januar fand der Bundesparteitag und die Aufstellungsversammlung der Kandidaten für die Europawahl in Bochum statt. An der Seitenwand der Halle wurde eine Fahne der Antifa aufgehängt. Nun ist das Aufhängen von Fahnen auf Parteiveranstaltungen eine symbolträchtige Angelegenheit: ist man nun als Pirat Teil der Antifa, ist die Antifa als Organisation Teil der Piratenpartei? Ein Aufhängen bedeutet eine weitgehende Solidarisierung mit den Zielen derer, deren Fahne aufgehängt wird. Nun ist das Ganze extrem intransparent gelaufen, Kritikern wurden Schläge angedroht, Feuerschutzbestimmungen wurden ignoriert. Letztendlich hat die Versammlungsleitung entschieden, dass das so in Ordnung ginge. Fand man das nicht in Ordnung und kritisierte den Vorgang, wurde man als Nazi beschimpft und gemobbt. Niemand unterschied Antifaschismus und Antifa. Eine inhaltliche Auseinandersetzung fand auf Vorstandsebene nicht statt, irgendwann war das Thema eben rum. Solidarität für die Gemobbten? Nicht vom Bundesvorsitzenden, der machte ein paar nichtssagende ironische Bemerkungen zu dem aus seinem Kreisverband stammenden Obermobber und das wars. Aufgelöst wurde gar nichts, die Zeit sorgte dafür, dass andere Dinge wichtig wurden.
Die Vorbereitung für die Europawahl verlief schleppend: die Themen wurden von den Kandidaten, vom Vorstand und von der Basis gesetzt. Wieso bitte vom Vorstand? Versteht mich nicht falsch, was rausgekommen ist, ist in Ordnung. Aber der Prozess ist alles andere als in Ordnung, der ist einer Partei, sie als Mitmachpartei für Transparenz steht nicht würdig. Auch die Plakaterstellung verlief äusserst merkwürdig, was sich in der breiten Ablehnung der Vorschläge durch mehrere Landesverbände äusserte. Dazu an dieser Stelle nichts weiter, ich versuche, hier einen roten Faden durchzuhalten.
Bombergate

Am 13.02.2014 wurde in Dresden – das erste Mal seit Jahren ohne Naziaufmärsche – der Opfer der Bombardierung Dresdens durch die Engländer 1945 gedacht. Dabei protestierten zwei junge Frauen mit verhüllten Gesichtern und nackten Oberkörpern, auf die die Parolen “Thank you Bomber Harris” und “Antifa Action 2014” aufgebracht waren. Der Berliner Kurier behauptete in seiner Ausgabe vom 17.02., in der mit “Thank you Bomber Harris” beschrifteten Frau die Berliner Piratin Anne Helm erkannt zu haben. Jemanden zu danken, der den Tod von 20.000 Menschen verursacht hatte, erschien vielen Piraten geschmacklos, Frau Helm wurde für die Aktion heftig kritisiert (leider auch sehr unter der Gürtellinie). Ein von vielen gefordertes Statement des Bundesvorstandes lieferte eher Solidarität mit Frau Helm als Kritik an ihrer Aktion und bot ihr noch das Forum zu einer Erklärung, die nichts erklärte.
Im Zuge der Kritik sekundierten prominente Berliner Piraten Frau Helm mit geschmacklos menschenverachtenden Tweets. Julia Schramm (@laprintemps) twitterte “Sauerkraut Kartoffelbrei, Bomber Harris Feuer frei” und “Stalingrad war wunderbar, Naziopa blieb gleich da” und wurde darin von anderen dem autonomen Umfeld zuzuordneten unterstützt. Wer das kritisierte, wurde als NPD-Sympatisant diffamiert. Diese Frau gilt als eine der wichtigsten Beraterinnen und Freundinnen des Bundesvorsitzenden Thorsten Wirth.
Übrigens fand auch Femen fand die Aktion nicht angemessen und distanzierte sich davon.
In der Folge forderten Ausgetretene und liberale Piraten eine Neuorientierung, eine Spaltung oder den Rauschschmiss der Autonomen. Der Partei drohte die Spaltung, Die Erklärung des Bundesvorstands war eher geeignet, Kopfschütteln statt Nicken zu erzeugen, so distanzierten sich mehrere Landesvorstände von der Aktion (beispielhaft Hessen).
Statt auf das Thema einzugehen, beschwert sich Frau Helm und der Vorstand, von Nazis verfolgt und beschimpft zu werden. Das soll dazu herhalten, ihre Aktion nicht mehr kritisieren zu dürfen. Hier werden zwei Dinge miteinender vermengt: eine klare Position und Kritik zu einer dummen plakativen und den Interessen der Piratenpartei widerstrebenden Aktion wird von Frau Helm und dem Bundesvorsitzenden Thosten Wirth als Entsolidarisierung gewertet. Die Parteischädigung, die Angemessenheit derartigen Aktivismusses für eine Kandidatin fürs Europaparlament wird weggewischt von einer Bitte um Solidarität. Sorry, natürlich bin ich dagegen, dass Menschen von Nazis bedroht und gemobbt werden. Aber was hat das mit der Kritik an der Aktion zu tun?
Orgastreik
So war die Situation am 20.02. – eine auseinanderbrechende Partei, ein “Flügelkampf”, gegenseitige Diffamierungen und Austritte und Beschwerden bei den Vorständen, dazu ein anämisch bis gar nicht reagierender Bundesvostand, dessen Äusserungen die Qualität etablierter Politikerbulletins hatten. Die Menschen, die bisher immer im Hintergrund dafür gesorgt hatten, dass der Laden lief, die die technische und organisatorische Arbeit gemacht hatten, hatten die Nase voll und streikten. Damit war mit einer auf die andere Minute ein großer Teil der parteiinternen Infrastruktur lahmgelegt (Artikel bei Heise).
Eine Erklärung, die sich um Neutralität im Flügelstreit bemühte, wurde unterschiedlich aufgenommen. Während die humanistischen und sozialliberalen Piraten die Aktion begrüßten oder zumindest Verständnis zeigten, wurde der linke bis autonome Flügel ausfällig. Nun traten Linke aus.
Interessant war, das engagierte Linke wie die Europakandidatin Anke Domscheit-Berg gegen den Streik wetterten, die Störung ihrer politischen Arbeit beklagten und entsetzt waren, dass ehrenamtlich tätige Menschen zu so etwas fähig seien. Da setzen Menschen Mittel ein, die in der linken Bewegung seit Jahrzehnten zum Aktionsrepertoire gehören, trifft es einem selbst, kommen Aussagen gleich denen eines Fabrikdirektors im 19. Jahrhundert aus dem Mund der progressiven Speerspitze, die sich ja auch ihren persönlichen Wahlkampf gerne per Crowdfunding finanzieren lassen möchte.
Dass einfach Leute die Schnauze voll hatten und nicht mehr zusehen wollten, wie ihr Traum, das Projekt, in das sie ihr Herzblut gesteckt hatten, zerstört wurde, dieser Gedanke kam Frau Domscheit-Berg nicht. Sie war viel zu viel mit ihrer eigenen Befindlichkeit beschäftigt. Andere ranteten, dass Verwaltung per definitonem faschistoid sein, und nahmen es den “Arbeitsbienen” übel, einen Standpunkt zu haben, statt einfach zu funktionieren.
Geschadet hat das vor allem denen, die fair mit politischen Mittelkn für linke Positionen innerhalb der Partei streiten – diese müssen sich nun von dem kindischen Kasperletheater des autonomen Flügels distanzieren.
Zeit für eine klare Kante …
Es wird Zeit, nun die Piratenpartei wieder zu positionieren. Kernthemen wie Teilhabe und Freiheit müssen in den Vordergrund. Natürlich ist die Erkenntnis, die Piratenpartei links zu verorten richtig, allerdings gibt der zweidimensionale Richtungsvektor nur einen Teil der Wahrheit wieder.
Humanismus und Teilhabe
Ein Wertedreieck wie hier oder ein Wertequadrat wie hier zeigt das Problem: Man bewegt sich zwar im zweidimensionalen Raum im linken Bereich, hat aber ein anderes, positiv humanistisches Menschenbild und ein liberales bis libertäres Staatsverständnis. Hier kollidieren individualistische Entwürfe mit der kollektivistischen Ideologie vieler Linken. Die Erklärund des Landesverbandes Schleswig-Holstein geht mir daher trotz richtiger Ansätze und Richtung nicht weit genug. Wir sollten nicht einfach eine sozailliberale Partei mit Internet sein, das braucht niemand. Wir wollten Politik 2.0 machen, das System neu starten und nicht eine Nische darin suchen, in der wir überwintern können. Lasst uns das nicht vergessen.
Guter Artikel! Volle Zustimmung!
Ich habe selbst auch schon die Piraten bei der letzten Bundestagswahl gewählt, allerdings gefällt mir auch deren Programm nicht uneingeschränkt gut. Alles was das Thema Internet angeht ist aber recht gut und vor allem im Bereich Internetrecht und Urheberrecht gehört eine Reformierung der verstaubten Gesetze im Jahre 2014 endlich her.