Es war einmal: Form Follows Function

Wie die Miniaturisierung und Virtualisierung die Welt schwer begreifbar macht.

Telefone
Telefone

Schaue ich mir die dingliche Welt meiner Großeltern und Elterngeneration an, fällt auf: Abgesehen von sinnlosem Kitsch lässt sich die Funktion eines Gegenstandes oder einer Maschine aus seiner Gestaltung erschließen. Auch für Unbekanntes lässt sich ermitteln, wie es funktionieren und wozu es dienen könnte.
Anfassen, auseinandernehmen, begreifen.
Das funktioniert für Telefon, Kamera, Kaffeemühle, Wecker, Thermometer, Kompass, Manometer und viele weitere Gegenstände. Form Follows Function. Jedes Gerät hat seine originäre Gestalt, welche aus den funktionalen Erfordernissen folgt – ob etwas Kamera, Telefon oder Lampe ist, sieht man auf den ersten Blick. Gleichzeitig beschränkt diese Gestalt auch die Funktion, der Gegenstand ist genau auf die intendierte Funktion ausgelegt und auf nichts anderes.

dscf5051Wir leben in einer Zeit zunehmender Abstraktion. Wir benutzen einen rechteckigen Bildschirm, eine Universalmaschine, zum Telefonieren, Fotografieren, Lesen, spielen, als Navigationsgerät, zum Musik hören und bald auch zum Bezahlen. Was damit geht, entscheidet die zu installierende Software. Wenn es mich interessiert, kann es auch Musikinstrument oder Sternenatlas sein, Fotolabor oder Videospiel. Anzusehen ist dem Gerät das nicht. Wie es funktioniert, erschließt sich nicht mehr aus der Anschauung. Eine Empfindung von Magie ersetzt ein Verständnis – das halte ich für eine bedenkliche Entwicklung. Schließlich kommt be-greifen von greifen, anfassen, konkret erleben.

Während Nerds stolz darauf sind, dass ihre Sprösslinge intuitiv auf einer Zeitschrift oder einem Bild Wischgesten versuchen, sehen sie nicht, dass die sinnlich erfahrbare Welt immer weniger Hilfen zum Be-Greifen gibt. Immer früher erfordert das Verständnis der Welt Abstraktionsfähigkeiten, immer weniger lässt sich intuitiv verstehen und erfassen. Es bleibt ein Staunen, Technik wird zu Magie.

Polaroid 1500
Polaroid 1500

Damit wir uns nicht falsch verstehen: ich liebe die Möglichkeiten der multifunktionalen und tragbaren Computer, die wir „Smartphone“ nennen, obwohl sie immmer weniger tatsächlich zum Telefonieren und immer mehr für Anderes eingesetzt werden. Seit der ersten Star-Trek-Staffel wünschen sich Menschen einen elektronischen persönlichen Assistenten, der ihnen durch die Welt hilft, relevante Informationen, Kommunikation, Orientierung und Unterhaltung bietet und sich bequem mitführen lässt. Dieses Versprechen wurde mehr als erfüllt, das Ding lässt die Zukunftsgeräte der Filmdesigner ziemlich alt und primitiv aussehen. Unsere Computer sind kleiner, handlicher, eleganter und leichter zu bedienen, als man es sich vor zwei Generationen in seinen kühnsten Träumen vorstellen konnte. Auch ich nutze gerne die Möglichkeit, im Urlaub nicht nur ein Buch, sondern eine große Auswahl mitnehmen zu können, Stadtpläne und Landkarten von jeder Gegend herunterladen zu können, die ich besuche, und Informationen dort und dann abrufen zu können, wo und wann ich sie benötige.

Maulschlüssel
Maulschlüssel

Was aber können wir tun, um da mitzukommen, um zu verhindern, dass wir die erfahrbare Welt verlieren? Nun, wir können einen Bereich in unserem Leben schaffen, in dem wir dinglich konkret arbeiten – im Alltag setze ich das zum Beispiel so um, dass ich Kaffeebohnen in einer alten Handmühle mahle und den Kaffee in einer Stempelpresskanne aufgieße. So habe ich neben besonders gutem Kaffee und ein Gefühl für dingliches Erleben. Eine zweite Angewohnheit ist die Nassrasur – neben einer Entschleunigung und Entspannung gibt sie mir die Kontrolle über einen Vorgang zurück, den ich sonst nebenbei erledigen würde. Will man noch weiter gehen, kann man sich ein handwerkliches Hobby suchen – zum Beispiel Schreinern oder mit akustischen Instrumenten musizieren.

19mm Beitel
19mm Beitel

Der zweite Schritt ist genau so wichtig: wir sollten die Wundermaschine nicht im Bereich der Magie lassen. Auch Computer, ihre Funktion und Programmierung sind kein Hexenwerk. Machen wir uns mit einer einfachen Programmiersprache vertraut, lernen wir verstehen, was die Maschine universal macht und wie das Ganze funktioniert. Projekte wie der Raspberry Pi ermöglichen mit kleinem finanziellen Aufwand, selbst tolle Projekte  zu realisieren und sowohl in Programmierung der Software als auch in Hardwarebastelei einzusteigen. Drüben bei Dom kann man Beispiele dafür sehen, was alles mit kleinem Aufwand möglich ist. Wir brauchen erfahrbares Erleben, damit wir nicht hilflos als passive Konsumenten eine Maschine bedienen, die wir nicht begreifen und dann irgendwann auch nicht mehr begreifen können und wollen.